4. Nachleuchten, persistente Lumineszenz, Thermolumineszenz und verwandte Phänomene4.1 MechanismenWährend die Begriffe
Photolumineszenz,
Phosphoreszenz und
Fluoreszenz im wesentlichen die Emission von Licht in einem Leuchtzentrum beschreiben und ihre Unterscheidung in den Auswahlregeln für die Spins finden, betrachtet Thermolumineszenz und die verwandten Begriffe Vorgänge, die deutlich mehr umfassen, als nur ein (isoliertes) Leuchtzentrum. Vor einiger Zeit habe ich den Mechanismus der
persistenten Lumineszenz hier im Atlas beschrieben, möchte für den Beitrag darauf zurückgreifen und manches ergänzen.
Um es vorweg zu sagen: Eine Thermolumineszenz bzw. ein Nachleuchten kann in der Emission mit eher fluoreszentem oder auch eher phosphoreszentem Charakter auftreten - oder typischerweise eben als irgendetwas dazwischen.
Beispiele für interessierte Leser sind SrAl
2O
4:Eu
2+, Ln für eher fluoreszenten Charakter (1,2) und La
2O
2S:Eu
3+,Mg,Ti für eher phosphoreszenten Charakter (3). Die jeweils angegebene Literatur ist lediglich als Startpunkt gedacht und keineswegs erschöpfend.
Der Mechanismus dahinter beruht auf der Defektstruktur eines Festkörpers - Nachleuchten ist eine Eigenschaft des Kristalls mit seiner chemischen Zusammensetzung, Struktur und eben den Defekten (4,5,6,7). Zugrunde liegt dem Mechanismus, dass Ladungsträger - Elektronen oder Löcher, für beides gibt es Beschreibungen - aus dem Leuchtzentrum in einen Fallenzustand gelangen können, in dem sie gespeichert werden. Aus dem Fallenzustand können sie durch Energieeintrag wieder ausgelöst werden und zurück zum Leuchtzentrum gelangen (4). Das nachfolgende Bild illustriert dies schematisch für den Fall von Elektronen als Ladungsträger.
Mineralienbilder: Lumineszierende Mineralien
(1) Anregung des Elektrons in das Leitungsband
(2) Transport im Leitungsband
(3) Relaxieren in einen Fallenzustand (
trapping), nur in Ausnahmefällen als strahlender Übergang.
(4) Verweilen und warten.... Sekunden, Minuten, Stunden ... Jahre .... Jahrtausende... je nach Situation.
(5) Anregung durch Energieeintrag zurück ins Leitungsband. Thermisch: Thermolumineszenz (TL), Licht: optisch stimulierte Lumineszenz (OSL), Druck: Mechanolumineszenz (ML)...
(6) Transport
(7) Übergang ins Leuchtzentrum, Ableuchten
An dem Schema ist schon zu erkennen, dass einiges stimmen muß, damit tatsächlich am Ende wieder Licht herauskommt. Die Bandlücke muss groß genug sein, um die Leucht- und Fallen-Systeme (als isoliert Systeme mit wenig Wechselwirkung) aufnehmen zu können. Die Niveaus des Leuchtzentrums müssen günstig liegen, damit das Elektron in das Leitungsband gelangen kann. Gleiches gilt für die Fallenzustände. Ladungstransport muss ablaufen (mit anderen Worten: Strom fließt). Und - alternative Pfad dürfen nur geringen Einfluss haben: das Elektron darf nicht entkommen...
Je nachdem, wie tief die Falle ist, wird der Ladungsträger (hier: das Elektron) stabiler oder weniger stabil gebunden.
(i) Genügt bereits geringe Energie, dann verweilt das Elektron nur einen Moment in der Falle. Zur Auslösung genügt bereits eine tiefe Temperatur. Sichtbar wird der Effekt in einer Verzerrung der beobachteten Abklingkurve der Lumineszenz. Diese ist dann nicht mehr einfach nur exponentiell.
(ii) Bei einer "mitteltiefen Falle" genügt die Umgebungstemperatur, um die Elektronen zu befreien: dies führt dann zu dem wohl bekannten Nachleuchten, das über Sekunden, Minuten bis hin zu Stunden anhalten kann (4,8). In der Literatur wird dies als "persistente Lumineszenz" bezeichnet und ist letztlich
Thermolumineszenz bei Raumtemperatur.
(iii) In noch tieferen Fallen braucht es mehr Energie, die Speicherung ist ziemlich stabil (6,7). Erst gezieltes Ausheizen (Thermolumineszenz) oder Auslesen mit Photonen (optisch stimulierte Lumineszenz) befreit die Elektronen - die gegebenenfalls auch viele Jahre gespeichert bleiben könnnen.
Die Fallenzustände hängen an Defektzentren. Defekte können Vakanzen sein (typischerweise Sauerstofffehlstellen), aber auch Fremdionen oder komplexere Systeme. Genau hier setzt das Design von nachleuchtenden Leuchtstoffen an, bei denen Bandlücken und Defektzentren so angepasst werden, dass möglichst effizient nachleuchtende Stoffe entstehen.
Nachfolgend als Beispiel einige synthetische Stoffe (2,4,9-11) - Ln: Seltenerd, X: geeignete Kodotierung:
(Ca,Sr,Ba)S:Eu,Ln;
ZnS:Cu,X;
SrAl
2O
4:Eu,Dy;
Y
2O
2S:Eu,Mg,Ti;
Sr
2MgSi
2O
7:Eu,X;
YAG:Cr,Ce;
Zn
3Ga
2Ge
2O
10:Cr
In natürlichen Mineralien lassen sich die Gegebenheiten nicht so einfach beschreiben. Anwendungen indes gibt es, wie weiter unten beschrieben wird.
4.2 Der Stein von BolognaChinesische Quellen berichten bereits vor über 1000 Jahren von nachleuchtendem Material (4). Allerdings gilt der
Stein von Bologna als erstes, wissenschaftlich untersuchtes nachleuchtendes Material, das vom Menschen hergestellt wurde (12). 1603 synthetisierte der italienische Schuhmacher und Alchemist Vincenzo Cascariolo dieses Material aus Baryt vom Monte Paderno. Dokumentiert ist dies in der Schrift
"Litheosphorus sive de lapide Bononiesi" (13). Erst kürzlich wurde - fast schon im Sinne der experimentelle Archäologie - der
Stein von Bologna aus dem gleichen Ursprungsmaterial (Baryt vom Monte Paderno) neu synthetisiert und untersucht (12). Es zeigte sich, dass durch die Art der Verarbeitung schließlich BaS entsteht. Analysen der Verunreinigungen und des Lumineszenz-Verhaltens zeigten, dass es sich um Cu
+ als Leuchtzentrum handelt, wobei S
2- Fehlstellen als Fallenzentren agieren. Die Emission von Cu
+ liegt im roten Bereich bei rund 610 nm. Die Autoren zeigten, dass in diesem Material die persistente Lumineszenz rund 30 Minuten anhielt - also durchaus beachtlich.
4.3 Nochmals zu den BegrifflichkeitenIn den vorangegangen Beiträgen habe ich die verschiedenen Begriffe rund um das Leuchten und Nachleuchten von Mineralien beschrieben. Hier nun - bevor es dann zu Anwendungen geht - eine kurze Zwischenzusammenfassung.
Fluoreszenz bezeichnet spinerlaubte Übergänge (ohne Änderung des Elektronenspins beim Übergang),
Phosphoreszenz spinverbotene (mit Änderung des Elektronenspins beim Übergang). Diese Begriffe sind für die Lumineszenz organischer Moleküle hilfreiche Beschreibungen.
Im Festkörper - wie eben Mineralien - mischen die quantenmechanischen Auswahlregeln für die Übergänge aufgrund der Einflüsse des Gitters (Symmetrie und Symmetriebrechungen sowie Kristallfeldaufspaltungen sind hier Schlagworte). Deshalb fassen die Begriffe Phosphoreszenz und Fluoreszenz die Photolumineszenz im Festkörper nicht richtig - sie sind nicht geeignet, um die Mechanismen bei der (Photo-)lumineszenz von Mineralien zu bezeichnen.
Deshalb zeigen Mineralien
Lumineszenz oder
Photolumineszenz - die Begriffe Fluoreszenz und Phosphoreszenz sollte man besser vermeiden und den Chemikern zur Beschreibung der Phänomene bei organischen Verbindungen überlassen.
Das lange Nachleuchten einiger Mineralien ist mit dem Begriff
persistente Lumineszenz oder
Nachleuchten klar beschrieben - eben
Thermolumineszenz bei Raumtemperatur.
Die nächsten Kapitel verlassen die Beschreibung zugrundeliegender physikalischer Phänomene und wenden sich Anwendungen zu: OSL - optisch stimulierte Lumineszenz zur (geologischen) Altersdatierung; Dosimetrieanwendungen; Lumineszenz zur Klassifizierung von Stoffen und in der Ressourcengeologie.
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Literatur
(1) Vitola, V., Millers, D., Bite, I., Smits, K., & Spustaka, A. (2019). Recent progress in understanding the persistent luminescence in SrAl2O4: Eu, Dy. Materials Science and Technology, 35(14), 1661-1677.
(2) Van den Eeckhout, Koen, Philippe F. Smet, and Dirk Poelman. "Persistent luminescence in Eu2+-doped compounds: a review." Materials 3.4 (2010): 2536-2566.
(3) Hölsä, J., Laamanen, T., Lastusaari, M., Malkamäki, M., Niittykoski, J., & Zych, E. (2009). Effect of Mg2+ and TiIV doping on the luminescence of Y2O2S: Eu3+. Optical Materials, 31(12), 1791-1793.
(4) Xu, J., & Tanabe, S. (2019). Persistent luminescence instead of phosphorescence: History, mechanism, and perspective. Journal of Luminescence, 205, 581-620.
(5) Kulesza, D., et al. "The bright side of defects: Chemistry and physics of persistent and storage phosphors." Journal of Luminescence 133 (2013): 51-56.
(6) Bos, A. J. J. "Theory of thermoluminescence." Radiation measurements 41 (2006): S45-S56.
(7) Reuven, Chen, and Mckeever Stephen WS. "Theory of thermoluminescence and related phenomena." World Scientific Publishing Ltd, Singapore (1997).
(8) Hölsä, Jorma. "Persistent luminescence beats the afterglow: 400 years of persistent luminescence." Electrochem. Soc. Interface 18.4 (2009): 42-45.
(9) Pan, Z., Lu, Y. Y., & Liu, F. (2012). Sunlight-activated long-persistent luminescence in the near-infrared from Cr 3+-doped zinc gallogermanates. Nature materials, 11(1), 58-63.
(10) Ueda, J., Dorenbos, P., Bos, A. J., Kuroishi, K., & Tanabe, S. (2015). Control of electron transfer between Ce 3+ and Cr 3+ in the Y 3 Al 5− x Ga x O 12 host via conduction band engineering. Journal of Materials Chemistry C, 3(22), 5642-5651.
(11) Van den Eeckhout, K., Poelman, D., & Smet, P. F. (2013). Persistent luminescence in non-Eu2+-doped compounds: a review. Materials, 6(7), 2789-2818.
(12) Lastusaari, Mika, et al. (2012). The Bologna Stone: history’s first persistent luminescent material. European Journal of Mineralogy 24.5, 885-890.
(13) Licetus F. (1640). Litheosphorus sive de lapide Bononiesi. University Library, Bologna, Italy.
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EDIT (1): kleinere Korrekturen